St. Vicelin, Wunderheiler und Exorzist
Über das Leben und Wirken des Missionars, des »Apostels des Nordens« und späteren Bischofs Vicelin (um 1090—1154) ranken sich einige »Dichtungen«. Die Geschichtsschreibung seiner Zeit stand ja noch auf recht unsicheren Füßen und lebte eher von der mündlichen – und daher auch oft fehlerhaften – Überlieferung denn von korrekt belegten Fakten. So blieb es nicht aus, dass vom Hl. Vicelin zahlreiche Geschichten bekannt sind auch über das ihm zugeschriebene Wirken als Exorzist und Wunderheiler. Eine dieser Erzählungen, »Narratio de translatione corporis b[enedicti] Vicelini a Novo Monasterio in Bordesholm«, 1776 in den »Scriptores rerum danicarum« wiedergegeben, berichtet in lateinischer Sprache von einer wundergleichen Begebenheit bei der Übertragung der Gebeine des verstorbenen Vicelin nach Bordesholm.
Vicelin wurde nach seinem Tod zunächst in der Anlage des »novum monasterium« in Neumünster beigesetzt. Der spätere Abt der Augustiner Chorherren, Hinricus Swyneborg (Svendborg), und seine Mitbrüder wollten die Gebeine des Klostergründers jedoch nach der Verlegung des Klosters nach Bordesholm (um das Jahr 1332) auch dort bei sich haben, weil sie glaubten, ihre neue Wohn- und Wirkstätte wäre ohne diese Reliquie nicht vollständig. Sie beriefen sich dazu auch auf biblische Schriften im Alten Testament und beschlossen, die Gebeine des Missionars zu exhumieren und gesichert in eine neue Grabstätte, gleichsam heilige Erde, zu verlegen – zur eigenen Inspiration und zur Erbauung der Gläubigen.
Sie machten sich also gut 170 Jahre nach Vicelins Tod daran, die knöchernen Überreste des Missionars auszugraben. Dabei fanden sie dessen Gebeine unverwest und in einen seidenen Umhang gehüllt vor, in dem Vicelin nach seinem Tod der Erde beigegeben worden war. Als die Fratres das Skelett jedoch der Grabstätte entnehmen wollten, war dies nicht möglich: durch eine ihrer Meinung nach göttliche Fügung erwies sich dieses als so schwer, dass es trotz vereinter Kräfte aller Anwesenden unmöglich bewegt werden konnte, geschweige denn aus dem Grab hätte geborgen werden können.
Nach längerer Beratung legten die Mönche zur Bewältigung der Aufgabe schließlich ein Gelübde ab: Sollten sich die sterblichen Überreste ihres früheren Abtes jemals verlegen lassen, so würden sie an jedem Jahrestag einer derart erfolgreichen »translation« allen, die an diesem Tag das Bordesholmer Kloster besuchen würden, eine besondere Speisung zuteil werden lassen. Unmnittelbar nachdem dieses Gelübde ausgesprochen und abgelegt war, ließ sich das Skelett des Vicelin der Erzählung nach beinahe »schwerelos« aus dem Grab heben und wurde anschließend auf einem Wagen nach Bordesholm verlegt. Der Erzählung nach sollen in der Folgezeit alle bedürftigen Pilger, die das Kloster am Tag der Wiederkehr dieser Zusage besuchten, ein aus diesem Anlass extra gebackenes Brot und eine kleine Silbermünze empfangen haben.
Das Grab Vicelins in Bordesholm ist seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr nachweisbar. Somit gerieten sowohl die Geschichte um die wundersame Umbettung des späteren Bischofs als auch das damit verbundene Gelübde in Vergessenheit. (Dr. Thomas Roetz)